Für meinen ersten Blog diesen Monat möchte erneut aus Prof. Dr. Rupperts Buch „TRAUMA ANGST LIEBE“ (erschienen im Kösel Verlag) zitieren. Folgend seine Erklärung zu TRAUMA UND GEHIRN:
Seit den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts steht der psychiatrischen Gehirn- und Nervenmythologie des 19. Jahrhunderts eine wissenschaftliche seriöse Gehirnforschung gegenüber, die das Phänomen Trauma immer besser in ihre Modelle vom Funktionieren des menschlichen Gehirns und Nervensystems integrieren kann.
Die Neurobiologie kann für Traumareaktionen und Traumafolgestörungen die Voraussetzungen und Grundlagen im Gehirn und Nervensystem zunehmend besser identifizieren und benennen. Guido Flatten benennt dazu unter anderem folgende
Zusammenhänge:
- „….. so lassen sich die intensiven Symptome ….. als ein Problem der Hypermensie versus Amensie beschreiben, also der übergenauen Abspeicherung von erlebter Realität im Kontrast zu fragmentierten oder sogar verloren gegangenen Erlebnis-
Inhalten. - …… dass bei traumatischen Erleben ein Angstlernen stattfindet……
…….dass das traumatische Erleben einer weitgehenden Löschungsresistenz
Unterliegt. - Mit dem „emotional numbing“ kommt es zu einem Herunterregulieren der affektiven Wahrnehmung, wir könnten auch von einer Dissoziation von Erleben und Erinnerung sprechen.
- Schließlich beobachteten wir kognitive Abwehrstrategien, die über dysfunktionale Erklärungsmuster das Erleben von Bewältigung oder Teilkontrolle suggerieren, häufig jedoch um den Preis einer tiefgehenden Schulddynamik, verbunden mit
einer Verzerrung der erlebten Realzusammenhänge.“ (Flatten 2011 b.S. 264f.)
Auch die Zusammenhänge zwischen den Phänomen Bindung und Trauma werden neurobiologisch immer besser verstanden: „Die vermehrte Erfahrung von Stress Und Angst führt biologisch zur Aktivierung eines vermehrten Bindungsbedürfnisses, was als evolutionäres Gegenprogramm zur erlebten Unsicherheit verstanden werden kann. Mit dem Primat, sicherer Bindung um jeden Preis herzustellen, kommt es nach Fonagy (2008) zu einer Hemmung frontaler und präfrontaler Hirnareale mit der Folge einer Einschränkung der Mentalisierungsfähigkeit. In diesem Zustand ist es für das Opfer erschwert, eine differenzierte Sicht des traumatisierenden Täters zu entwickeln. Um den Preis einer vermehrten (Schein-)Sicherheit entstehen so die Grundbedingungen für eine pathologische Täter-Opfer-Beziehung.“ (Flatten 2011 b.S. 270).
Vor allem die Einsicht in die Verflochtenheit von Bindungs- und Traumatisierungsvorgängen öffnet den Blick für das, was ich als mehrgenerationale Psychotraumatologie bezeichne. Da Bindungsprozesse am Anfang jeder menschlichen Entwicklung stehen und gleichsam das Fundament der Psyche darstellen, wirken sich Traumatisierungen auf dieser Ebene so umfassend und nachhaltig aus, dass sie selbst noch in die nächsten Generationen hinein präsent sind und dort ihre Eigendynamik entfalten.
Ich finde, dies ist ein schwerer Text zu lesen, doch diese Erkenntnisse sind meiner Meinung nach so umwerfend und machen andererseits so Hoffnung. Wenn man mal anfängt sich mit der eigenen Geschichte und der Geschichte der eigenen Familie zu befassen, dann kommt man auf vieles und dies ist meistens, wenn nicht sogar immer, hilfreich und befreiend, und auf gewisse Weise auch heilend.
Bei Fragen stehe ich gerne per Telefon oder per E-Mail zur Verfügung. Weitere interessante Themen findet ihr in meinen vorherigen Blog-Beiträgen.
Mit den besten Grüßen,
Eure Claudia Grill