Was wollen Familienaufstellungen leisten?

Familienaufstellungen können auf verschiedene Zwecke abzielen. Welche das sind, werde ich euch im Folgenden genauer erklären. 

Erlaubnis und Freiheit – Ablösung aktiv vollziehen

Wenn ein erwachsener Mensch beispielsweise immer das selbe Beziehungsmuster sucht, kann es  gut sein, dass alte Bindungen noch wirken, dass die Ablösung von den Eltern noch aussteht. Fragt man nach den Eltern, lässt sich anhand der Reaktion oft leicht erkennen, dass die Beziehung regelrecht von Hass und Verachtung geprägt ist. Doch Hass und Verachtung macht unfrei. Bei den Familienaufstellungen zeigt sich immer wieder, dass eine Ablösung erst dann möglich ist, wenn die Beziehung zu beiden Eltern mit Liebe getragen wird. 

Führen wir uns die Situation einmal bildlich vor Augen: Wie soll man in die Zukunft schauen, wenn man stets eine angespannte Beziehung im Rücken wahrnimmt? Man wird ständig den Drang verspüren, sich umdrehen zu wollen oder zu müssen.

In der Realität hat das zur Folge, dass man sich tatsächlich oder in inneren Dialogen mit den Eltern oder anderen hierarchisch Übergeordneten immer wieder auseinandersetzt. 

Die Freiheit, sein Leben nach eigenen Wünschen und Fähigkeiten zu gestalten, ist erst dann gegeben, wenn man mit seinen Eltern innerlich Frieden schließt. 

Trauer und Frieden – Achtung der Verstorbenen

Für jemanden, der einen Schicksalsschlag wie den Verlust des eigenen Kindes oder der Geschwister nicht selbst erlebt hat, ist es manchmal schwer nachzuvollziehen, was dies für eine Familie bedeutet. 

Die Beziehungen aller sind verändert, Schuldgefühle und Vorwürfe, Trauer und Wut stehen im Raum. Nur noch Vergessen zu wollen, das ist für alle ein natürlicher Impuls. Dass dies nicht möglich ist, zeigt sich oft  bei Familienaufstellungen. Die nicht geweinten Tränen verschwinden nicht einfach. Sie lagern sich verborgen ein und werden jedes Mal wiederbelebt, wenn existenzielle Ereignisse in der Familie auftreten, wie beispielsweise eine Geburt. 

Glücklicherweise gibt es mittlerweile Selbsthilfegruppen, wo sich Menschen, die einen schweren Verlust erleiden mussten, gegenseitig unterstützen und über ihre Gefühle sprechen können. Offene Gespräche helfen dabei, einen Weg zu finden, wie das gemeinsame Leben weitergehen kann – mit dem Andenken an den geliebten Verstorbenen. 

Abgrenzung und Neubeginn – der Abschied von den Schuldigen

Der Umgang mit Schuld ist für viele Menschen sehr schwierig. Leugnung, Verdrängung, Anklage – all das hilft den Nachkommen von Tätern nicht, mit der Schuld zurechtzukommen. Bert Hellinger setzte sich intensiv mit dem Thema Schuld auseinander. Als Therapeut erfuhr er wiederholt, dass die Nachkommen schuldiger Täter unter massiven Ängsten, Gewalt- und Mordfantasien litten. Er fand dafür folgende Erklärung: Die Nachkommen versuchen unbewusst, die Schuld zu sühnen, indem sie selbst leiden. Sie nehmen einem Täter damit die Verantwortung für sein Verbrechen ab. Dieser „schlimme Ausgleich“, wie er es nennt, bindet den Nachfahren an die Tat seines Vorfahren. 

In den Aufstellungen wird sichtbar, dass die Schuld des Täters durch die Schicksalsübernahme nicht kleiner wird, sondern sowohl dem Schuldigen als auch dem darunter leidenden Kraft raubt. Das normale Leben kann erst dann wieder funktionieren, wenn der betreffenden Person ihre Schuld zugemutet wird. Verlässt der Täter bei einer Aufstellung den Raum, erleben dies alle Stellvertreter als Erleichterung. 

Heilung durch heilende Bindungen

Heilung ist ein Prozess, den wir nicht erzwingen können. Sie ist nicht unmittelbar machbar. In diesem Sinne können Familienaufstellungen keine Heilung leisten. Vielmehr sind sie ein therapeutisches, spirituelles Angebot, sich im Fluss der Zeit wahrzunehmen, in dem das Leben und die Liebe von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Wenn man den Kontakt zu seinen Wurzeln aufnehmen möchte, stößt dies einen seelischen Heilungsprozess an. In diesem Sinne kann man Heilung aktiv zulassen, durch die innere Bereitschaft, sich mit seiner Lebensgeschichte zu versöhnen. Familienaufstellungen wollen dabei eine Hilfe sein. 

 

Eure 

Claudia Grill