GEWISSEN
Bert Hellinger hat erkannt, dass wir oft – oder sogar meistens – aus unserem persönlichen Gewissen heraus handeln. Das bedeutet, dass wir die Dinge so tun, wie sie uns in der Kindheit beigebracht oder vorgelebt wurden.
Zum Beispiel: Wenn ein Kind in einer Familie aufwächst, in der es üblich ist, andere herabzusetzen, zu bekämpfen oder schlecht zu behandeln, dann nimmt es zunächst an, dass dies „normal“ sei. Erst wenn dieses Kind erwachsen wird, eigene Erfahrungen macht und andere Lebensweisen kennenlernt, erkennt es möglicherweise, dass dieses Verhalten nicht gesund ist und ein erfülltes Leben erschwert. Möchte es nun anders handeln, entfernt es sich von den Prägungen seiner Familie – und dies oft mit einem „schlechten Gewissen“. Denn es bedeutet, sich von alten Mustern zu lösen.
Ein solcher Wandel ist nur durch ein anderes Gewissen möglich: das kollektive oder geistige Gewissen.
Interessant ist, dass das Gefühl eines „schlechten Gewissens“ oft ein Zeichen für persönliche Weiterentwicklung ist. Es zeigt, dass man sich über bisherige Grenzen hinausbewegt – und dabei auch ein Stück weit aus den familiären Strukturen heraustritt.
Betrachtet man die Welt, sieht man, dass viele Menschen mit „gutem Gewissen“ handeln – doch dies kann auch bedeuten, anderen Schaden zuzufügen. So wird beispielsweise im Namen des Glaubens (ohne Wertung) gemordet – mit dem festen Glauben, das Richtige zu tun.
Mehr dazu gibt es in meinen „offenen Abenden“, Seminaren oder Einzelsitzungen – in Präsenz in Hohenlinden oder auch online über Zoom.
Zugehörigkeit, Ordnung und der Ausgleich von Geben und Nehmen sind die grundlegenden Prinzipien für das Zusammenleben von Menschen. Sie spiegeln das tiefe menschliche Bedürfnis nach geordneten und sinnvollen sozialen Beziehungen wider.
Laut Bert Hellinger entstehen solche Beziehungen durch das Gewissen. Er beschreibt das Gewissen als ein „inneres Organ für systemisches Verhalten“, als einen Sinn, durch den wir intuitiv wahrnehmen, was nötig ist, um dazuzugehören. Er vergleicht es mit dem Gleichgewichtssinn: So wie dieser mit Schwindel reagiert, wenn das körperliche Gleichgewicht gestört ist, warnt uns das Gewissen, wenn unser Zugehörigkeitsgefühl in Gefahr gerät.
Die drei Ebenen des Gewissens nach Hellinger:
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Bindung und Zugehörigkeit:
Schuld im Sinne des persönlichen Gewissens zeigt sich als Angst vor dem Verlust der Zugehörigkeit, während Unschuld als Freude empfunden wird, dazuzugehören und sich sicher zu fühlen. Gut ist alles, was die Beziehungen stärkt; schlecht ist alles, was sie gefährdet oder auflöst. -
Geben und Nehmen:
Wenn wir etwas von jemandem erhalten haben, ohne etwas Gleichwertiges zurückzugeben, empfinden wir Schuld als Verpflichtung zum Ausgleich. Unschuld bedeutet hier Freiheit von dieser Verpflichtung – oder sogar das Recht auf eine Gegenleistung, wenn wir mehr gegeben als genommen haben. Dieses Prinzip gilt nicht nur im Guten, sondern auch im Bösen: Wenn uns Unrecht widerfährt, fühlen wir uns berechtigt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. -
Ordnung:
Das Gewissen wacht auch über die Einhaltung von Regeln und Rangordnungen innerhalb einer Gruppe. Hier zeigt sich Unschuld als Gewissenhaftigkeit, während Schuld mit der Furcht vor Bestrafung verbunden ist.
Das persönliche Gewissen dient also in erster Linie den Beziehungen innerhalb einer bestimmten Gruppe – vor allem innerhalb der Familie. Um diese Beziehungen zu sichern, grenzt es die Gruppe gegen andere ab. Dadurch kann das Gewissen auch trennend wirken.
Die Geschichte zeigt, welche fatalen Folgen es haben kann, wenn das persönliche Gewissen als universeller Maßstab betrachtet wird: Kriege werden fast immer mit „gutem Gewissen“ geführt – im Dienst der eigenen Gruppe. Deshalb ist das persönliche Gewissen nicht nur gut, sondern kann auch blind und zerstörerisch sein.